In der letzten Zeit ist in den Medien verstärkt über Abmahnungen durch die Musikindustrie berichtet worden, mit denen die Betroffenen aufgefordert werden, es zukünftig zu unterlassen, urheberrechtlich geschützte Werke über Tauschbörsen im Internet herunterzuladen und/oder zum Download bereitzustellen. Die Abmahnschreiben enthalten in der Regel außerdem die Aufforderung, die durch die Abmahnung entstandenen Anwaltskosten sowie Schadensersatz zu zahlen.
Berichtet wurde unter anderem in der Fernsehsendung Stern-TV, in der das Thema sogar in zwei Sendungen hintereinander aufgegriffen wurde, nämlich am 10. Oktober 2007 und am 17. Oktober 2007. Zu Wort gekommen ist in beiden Fällen unter anderem der Kollege Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei Wilde & Beuger in Köln, dessen Ausführungen und Empfehlungen nach meinem Dafürhalten allerdings wenig Lob verdient haben.
So wurde in der Sendung am 10. Oktober 2007 von dem Kollegen die Empfehlung ausgesprochen, vorbeugende Unterlassungserklärungen abzugeben, wenn man befürchte, wegen illegaler Downloads und/oder Uploads von urheberechtlich geschützten Werken abgemahnt zu werden. Auf diese Weise verhindere man, die teilweise immensen Abmahnkosten zahlen zu müssen, wenn eine Abmahnung ins Haus flattere.
Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit kann die Befolgung dieses Ratschlags tausenden von Anschlussinhabern zum Verhängnis werden.
Die Thematik ist komplizierter als es in der Fernsehsendung Stern-TV dargestellt wurde. Deshalb zunächst folgende Erläuterungen:
Jeder PC, der mit dem Internet verbunden ist, hat bei der Einwahl über den jeweiligen Provider eine unverwechselbare Adresse erhalten (sogenannte IP-Adresse). Diese Adresse ist zwingend erforderlich, damit die aus dem Internet abgerufenen Daten unter Millionen PCs auch an den richtigen – nämlich den, der sie abgerufen hat – gesandt werden. Diese IP-Adresse eines PC ist für jedermann sichtbar. Nun ist die Ansicht weit verbreitet, man bewege sich im Internet absolut anonym, weil niemand wisse, welcher Haushalt (genauer: Telefonanschluss) sich hinter der jeweiligen IP-Adrese verbirgt. Das jedoch ist falsch. Denn selbstverständlich gibt es eine Stelle, die weiß, dass sich hinter der IP-Adresse XYZ der Telefonanschluss des Herrn Müller verbirgt: der eigene Provider!
Gehört nun beispielsweise der Sohn des Herrn Müller zu den zigtausend Menschen, die sich Musikdateien über sogenannte Tauschbörsen aus dem Internet herunterladen, dann passiert folgendes: Müller jun. lädt mit Hilfe des Tauschbörsenprogramms eine Musikdatei herunter (meist eine mp3-Datei), die dann sofort und automatisch auf seinem PC auch für andere Tauschbörsennutzer zum Download zur Verfgung steht, wenn er dies nicht durch manuelle Veränderungen der Software-Einstellugen zuvor verhindert hat. Die von der Musikindustrie beauftragten “Detektive” nutzen – getarnt als “normale Musikpiraten” – ebenfalls die Tauschbörse, laden ebenfalls diese Musikdatei herunter und notieren sich die IP-Adressen der PCs, von denen die Datei angeboten wird. Zum Zwecke der Beweissicherung werden dann noch Teile der Datei tatsächlich heruntergeladen.
Um nun an die Daten desjenigen zu kommen, der sich hinter der IP-Adresse verbirgt, ist die Musikindustrie auf die Hilfe der Staatsanwaltschaft angewiesen. Denn diese Informationen können ausschließlich vom Internetprovider erlangt werden, der aus Datenschutzgründen freiwillig keine Daten herausgeben darf. Um die Staatsanwaltschaft einzuschalten wird Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, wobei die ermittelte IP-Adresse des Täter-PC mitgeteilt wird. Die Staatsanwaltschaft leitet daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein, in dem sie ermittelt, wer Inhaber des entsprechenden Telefonanschlusses ist. Daraufhin wird in der Regel das Strafverfahren eingestellt, weil bei einem Mehr-Personen-Haushalt meistens nicht festgestellt werden kann, welcher konkrete Mensch den Urheberrechtsverstoß begangen hat.
Anders als im Strafrecht kann im Zivilrecht, also wenn es z. B. um Unterlassungsansprüche geht, aber auch derjenige verantwortlich sein, der den Urheberrechtsverstoß gar nicht selbst begangen hat. Wo die zivilrechtliche Verantwortung eines Internet-Anschlussinhabers für Urheberrechtsverstöße, die über seinen Anschluss begangen werden, beginnt und wo sie aufhört, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Gerichte setzen hier unterschiedliche Maßstäbe an.
Das Landgericht Hamburg beispielsweise hat mit Urteil vom 26. Juli 2006 (Az.: 308 O 407/06) entschieden, dass der Anschlussinhaber grundsätzlich für die über seinen Telefonanschluss begangenen Rechtsverletzungen hafte, weil er verpflichtet sei sicherzustellen, dass die Möglichkeit der Begehung einer Urheberrechtsverletzung unterbunden wird. Im Zweifel habe er sogar einen IT-Spezialisten zu beauftragen. Das Urteil ist zu Recht auf breite Kritik gestoßen, weil an die Kontrollpflichten des Anschlussinhabers zu hohe Anforderungen gestellt werden.
Das Landgericht Mannheim dagegen hat in einem Urteil vom 29. September 2006 (Az.: 7 O 62/06) herausgestellt, dass die Haftung des Anschlussinhabers, der die Tat nicht selbst begangen hat, nur dann in Betracht komme, wenn ihm der Vorwurf gemacht werden könne, die ihm zumutbaren und erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Urheberrechtsver-letzungen nicht getroffen zu haben. Soweit die Urheberrechtsverletzung von einem volljährigen Familienmitglied begangen wurde, könne eine Sorgfaltspflichtverletzung des Anschlussinhabers erst ab dem Moment angenommen werden, in dem er Kenntnis davon erlange, dass über seinen Telefonanschluss Rechtsverletzungen begangen wurden.
Der Bundesgerichtshof hat diese Frage noch nicht entschieden.
Trotz dieser unklaren Rechtslage erhält nun der Anschlussinhaber, den die Rechtsanwälte des abmahnenden Musikunternehmens durch eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft in Erfahrung gebracht haben, eine Abmahnung, wie sie zu Beginn dieses Artikels grob beschrieben wurde.
Die Empfehlung des Kollegen Solmecke in der Fernsehsendung Stern-TV, vorbeugende Unterlassungserklärungen abzugeben, wenn man als Anschlussinhaber befürchte, wegen (über den eigenen Telefonanschluss begangener) Urheberrechtsverletzungen abgemahnt zu werden, ist in zweierlei Hinsicht mehr als unglücklich.
Zum einen führt die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung dazu, dass jede zukünftige Urheberrechtsverletzung, die über den Telefonanschluss des Anschlussinhabers begangen wird, eine saftige Vertragsstrafe nach sich zieht. Sollte also der Sohn oder die Tochter trotz gegenteiliger Weisung später doch noch einmal eine Musikdatei herunterladen und dies herauskommen, dann wird es teuer. Wer den Familien-Internetzugang nicht hundertprozentig absichert gegen die Begehung von Urheberrechtsverletzungen, der ist folglich einem nicht unerheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt, das ohne die Abgabe der vorbeugenden Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen nicht bestehen würde. Dabei ist zu bedenken, dass es einen hundertprozentigen Schutz vor Urheberrechtsverletzungen schon in technischer Hinsicht gar nicht geben kann.
Zum anderen schützt dieses Vorgehen nicht davor, dass wegen bereits begangener Urheberrechtsverletzungen Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Zwar haftet nur der eigentliche Täter auf Schadensersatz. Dessen Haftungsrisiko erhöht sich durch die Abgabe vorbeugender Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen jedoch ganz erheblich. Denn die Musikindustrie erfährt möglicherweise erst durch die Abgabe der vorbeugenden Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen davon, dass in dem entsprechenden Haushalt der Täter einer Urheberrechtsverletzung leben könnte.
Meines Erachtens sollte vor diesem Hintergrund die Abgabe von vorbeugenden Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung nicht empfohlen werden.